Der Fachkräftemangel ist derzeit eine der zentralen Herausforderungen für die Energiewirtschaft. Gleichzeitig steigen die Anforderungen der Kunden an ein hochwertiges Kundenerlebnis: Verfügbarkeit und Responsivität digitaler Services werden zum Differenzierungsfaktor in einem stark Commodity-geprägten Marktumfeld. Um sich für zukünftige Lastspitzen zu wappnen und gleichzeitig die Zukunftsfähigkeit der eigenen Prozesslandschaft auszubauen, gehört die Automatisierung von Prozessen zu den wichtigsten Aufgaben von Energieunternehmen. RPA als Schlüssel für eine kostengünstige Automatisierung Hier setzt die Robotic Process Automation (RPA) an. Dabei handelt es sich um eine Form der robotergestützten Prozessautomatisierung, die es ermöglicht, hochvolumige und stark repetitive Aufgaben automatisiert auszuführen. Im Gegensatz zu Business Process Automation (BPA) oder anderen Formen der Automatisierung, die Prozesse neu aufsetzen, werden bei RPA Softwareprogramme oder Bots programmiert, die die menschliche Interaktion mit der Software imitieren. Dadurch können Prozesse sehr schnell und kostengünstig automatisiert abgebildet werden, ohne aktiv in die bestehende Systemlandschaft einzugreifen. Dabei wird zwischen „Attended“ und „Unattended“ Bots unterschieden: Attended ist der Prozess, wenn der Anwender den Bot direkt auf seinem Arbeitsplatz startet und die Verarbeitung für ihn sichtbar ist, im unattended Modus läuft der Bot im Hintergrund, ggf. auf einer eigenen virtuellen Workstation. Attended Bots werden vom Benutzer manuell gestartet, während unattended Bots zu festgelegten Zeiten starten oder durch Ereignisse wie API-Aufrufe ausgelöst werden. Potenziale von RPA Durch diese Simulation einzelner Prozessschritte ermöglicht RPA die Automatisierung von Routineaufgaben und entlastet damit die Mitarbeiter, die sich dann komplexeren Tätigkeiten, wie z.B. dem persönlichen Kundenkontakt, widmen können. Gleichzeitig können die Durchlaufzeiten von Standardprozessen effektiv verkürzt und die Fehlerquote im Vergleich zur manuellen Bearbeitung reduziert werden, was letztlich zu Kosteneinsparungen führt. Die Kundinnen und Kunden profitieren wiederum von einer permanenten Verfügbarkeit der Services unabhängig von Geschäfts- und Servicezeiten sowie von kürzeren Bearbeitungszeiten ihrer Anfragen. Der größte Vorteil von RPA im Vergleich zu anderen Formen der Prozessautomatisierung liegt in der vereinfachten Implementierbarkeit der Lösungen. So erfordern die meisten kommerziellen Lösungen am Markt weder Programmierkenntnisse noch tiefgreifende Änderungen an der bestehenden Systemlandschaft. Die zu automatisierenden Prozesse können einfach aufgenommen und nach Bedarf konfiguriert werden. Dabei steht dem Anwender eine große Auswahl an vordefinierten Funktionen zur Verfügung, die per Drag & Drop miteinander verknüpft werden. Dies reduziert die Einführungszeit und -kosten erheblich. Demgegenüber stehen höhere Prozessdurchlaufzeiten als bei klassischen Automatisierungslösungen und eine Wartungsanfälligkeit bei sich ändernden Benutzeroberflächen. Anwendungsfelder für RPA in energiewirtschaftlichen Kernprozessen Aufgrund der beschriebenen Eigenschaften eignet sich RPA vor allem dort, wo manuelle, standardisierte Prozesse mit hoher Frequenz durchgeführt werden. Diese Potenziale wurden in Zusammenarbeit mit dem Bundesverband der Energiemarktdienstleister (BEMD e.V.) im Hinblick auf die Kernprozesse in der Energiewirtschaft untersucht. Denn gerade in der Energiewirtschaft sind viele Abläufe strukturiert, regelbasiert und vor allem zeitintensiv. Hier können Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von EVU, Messstellenbetreibern oder Verteilnetzbetreibern wirksam entlastet und für Tätigkeiten mit individuell höherer Komplexität eingesetzt werden. Im Folgenden werden drei ausgewählte Beispiele für energiewirtschaftliche Kernprozesse vorgestellt, die mit Hilfe von RAP automatisiert werden können: Use Case 1: Plausibilisierung von Zählerständen Nachdem Kunden oder Dienstleister die Zählerstände eingegeben haben, werden diese im Abrechnungssystem des Energieversorgers auf Plausibilität geprüft. Bei Unstimmigkeiten erfolgt eine manuelle Prüfung. Dieser Arbeitsschritt kann durch eine definierte Logik automatisiert werden. Ein Beispiel für einen solchen Klärungsfall ist der “Nullverbrauch”. Hier kann der Roboter automatisiert nachfragen, ob es sich um einen Leerstand handelt oder ob der Zählerstand vom EVU oder einem anderen Dienstleister erfasst wurde. Use Case 2: Lieferantenclearing Im klassischen Lieferantenclearing können teilautomatisierte Prozesse im Zusammenspiel zwischen RPA, Kunde und Sachbearbeiter die Durchlaufzeiten effektiv verkürzen. Dabei wird der Interessent nach Prüfung der Eingangsliste durch den Sachbearbeiter automatisiert kontaktiert. Nach Rücksendung der Daten durch den Kunden legt der Roboter die Vorgänge im System an und archiviert die Dokumente. RPA prüft die Wiedervorlage und der Sachbearbeiter gibt den Kunden über ein abschließendes Quality Gate frei. Auf diese Weise sinkt die durchschnittliche Bearbeitungszeit von 12 auf 4 Minuten, was einer Aufwandsersparnis von 66 Prozent entspricht. Use Case 3: Tarifwechsel Die RPA-unterstützte Bearbeitung von Tarifänderungen zeigt, wie verschiedene Automatisierungstechnologien kombiniert werden können. So können die vom Kunden per Post zurückgesendeten Vertragsunterlagen mittels OCR-Technologie ausgelesen und dem Roboter in strukturierter Form zur vollautomatischen Verarbeitung zur Verfügung gestellt werden. Der Automatisierungsgrad liegt hier bei 85-90 Prozent bei einer Fehlerquote von null Prozent. Schrittweise Implementierung Um die beschriebenen Effizienzpotenziale durch den Einsatz von RPA in den eigenen Prozessen zu heben, sollten Unternehmen bei der Implementierung einige wesentliche Erfolgsfaktoren berücksichtigen: Geeignete Prozesse auswählen Für den erfolgreichen Einsatz und die Akzeptanz von RPA ist die sorgfältige Auswahl der zu automatisierenden Prozesse von großer Bedeutung. Dabei sollten Unternehmen zum einen bestimmte technische Anforderungen wie Regelbasiertheit und Stabilität des Prozesses, Zugriffsmöglichkeiten auf die beteiligten Systeme oder standardisierte Lesbarkeit des Inputs berücksichtigen. Zum anderen sollten Prozesse ausgewählt werden, die ein hohes Amortisationspotenzial aufweisen. Zielparameter festlegen Klare Zielparameter sind elementar, um den Erfolg der RPA-Implementierung zuverlässig bewerten und gegebenenfalls gegensteuern zu können. Dazu sollten Unternehmen bereits zu Beginn der Implementierungsbemühungen entsprechende KPIs definieren, die bei der Bewertung des Implementierungsfortschritts berücksichtigt werden sollten. Dies reicht beispielsweise von implementierungsbezogenen Erfolgskennzahlen wie Implementierungszeiten oder Fehlerquoten bei automatisierten Prozessen bis hin zu ergebnisorientierten Kennzahlen wie Kapazitätseinsparungen, Durchlaufzeiten oder Mitarbeiterzufriedenheit. Stakeholder einbinden Ein wesentlicher Erfolgsfaktor für die Einführung von RPA ist die rechtzeitige Einbindung der relevanten Stakeholder zum richtigen Zeitpunkt. In der Initialisierungsphase des Projekts spielen sowohl interne Projektsponsoren als auch Prozessexperten und Lead User, die die Prozesse kennen und bewerten können, eine wichtige Rolle. Später müssen interne oder externe Experten identifiziert werden, die die Umsetzung begleiten. Schließlich müssen in der Umsetzungsphase die betroffenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Rahmen eines Change- und Enablement-Programms frühzeitig eingebunden werden, um möglichen Vorbehalten entgegenzuwirken und die Akzeptanz der Lösung in der Organisation zu erhöhen. Anbieter evaluieren Mittlerweile gibt es auf dem RPA-Markt eine Vielzahl unterschiedlicher kommerzieller Produkt- und Lösungsanbieter. Bei der Auswahl des richtigen Technologiepartners sollten Unternehmen neben dem Kosten- und Lizenzmodell vor allem auf Kriterien wie mögliche Lösungserweiterungen, z.B. in Richtung Process Mining oder KI-Anbindung, sowie die angebotenen SLAs achten. RPA-Pipeline aufbauen Um eine hohe Akzeptanz für die RPA-Implementierung zu gewährleisten und Investitionsrisiken zu vermeiden, empfiehlt sich ein schrittweises Vorgehen, bei dem zunächst wenige, ausgewählte Prozesse..